10. Februar 2013 | Kilolo
Unterrichten an einer tansanischen Grundschule
Auch wenn ich nun bereits seit einigen Wochen an der Grundschule in Kilolo unterrichte, kann ich mich jeden Donnerstagnachmittag aufs Neue auf folgendes Szenario gefasst machen: Kaum nähere ich mich der Schule an, entdecken mich vereinzelte Kinder schon von Weitem, und mir kommen „mzungu, mzungu!“ – Rufe entgegen, was so viel bedeutet wie „die Weiße, die Weiße!“. Wenn ich dann aber tatsächlich mein Fahrrad auf das Schulgelände lenke, wechseln die Rufe zu einem freudigen und aufgeregten „anakuja!“ – „sie kommt!“. Als ob sie es jedes Mal aufs Neue nicht glauben könnten, dass die Weiße tatsächlich IHRE Schule besuchen kommt! Auf dem kleinen Schulhof umzingeln mich sofort die mutigsten Kinder, die gerade draußen zugange waren, während nach und nach immer mehr neugierige, mich anstrahlende Kinderköpfe aus den Fenstern und Türen der Klassenzimmer schauen. Wenn es regnet, halten die Erstklässler alle ihr Becher aus den Fenstern, um sie mit Regenwasser zu füllen, was einen herrlichen Anblick bietet. Da alle, die irgendwie ihre Angst vor der Fremden schon überwunden haben, mich begrüßen wollen, komme ich aus dem Zurückgrüßen kaum noch raus, bis ich schließlich das kleine, dunkle Lehrerzimmer erreiche. Die einzige Lichtquelle ist die Sonne, die ein paar wenige ihrer Strahlen durch das kleine Fenster und die Holztür schickt. Auch die Lehrer zeigen sich erfreut, dass ich auch diese Woche wieder gekommen bin, um eine der sieben Klassen in Englisch zu unterrichten. Sie heißen mich willkommen und bringen mich schließlich zu dem Klassenzimmer, in dem ich unterrichten soll.
Dann wird die Klasse in 10er-Gruppen eingeteilt, die ich dann nach und nach – solange sie noch nicht heimgegangen sind – unterrichten werde. Jede Woche ist eine andere Klasse dran, und ich bereite für den Unterricht jedes Mal verschiedene spielerische Dinge vor: Mal spielen wir Memory mit Bildern und dazu passenden englischen Wörtern, mal Domino, wofür ich ebenfalls Bilder auf Karten gemalt und die dazu passenden Wörter geschrieben habe. Im Anschluss werden die Wörter, die die Kinder mir laut im Chor nachsprechen (oder eher aus voller Kehle schreien), zusammen gelernt. Auch einfache Sätze üben wir anhand kreativer Ideen. Besonders freuen sich die Schüler, wenn sie selbst malen dürfen, auf Englisch ihre Klassenkameraden fragen, was sie gemalt haben und diese dann im Chor z.B. „This is an elephant“ antworten. Mit den etwas älteren Kindern haben wir auch mal „Einkaufen auf Englisch“ geübt, so dass die Schüler abwechselnd Verkäufer oder Käufer waren und auf diese Weise in dem Rollenspiel alltagsnahe Gespräche zu führen lernten. Immer wieder sehe ich, dass die Schüler untereinander sehr unterschiedlich sind: Während die einen selbstbewusst auftreten und sehr schnell zu lernen scheinen, kann der ein oder andere noch nicht einmal lesen, traut sich kaum, ein Wort zu sagen und versteckt das Gesicht im Ärmel der Schuluniform, wenn ich ihn oder sie etwas frage. Dennoch stelle ich fest, dass die Gruppendynamik meistens stimmt und die Kinder sich untereinander häufig helfen.
Ab und zu wird der Unterricht kurz gestört, wenn andere Kinder, die noch warten müssen, bis sie dran sind, neugierige Blicke durch die Fenster werfen, um zu beobachten, was wir machen. Auch wenn das an sich nicht stört, bekommt es der ein oder andere Schüler von drinnen mit der Eifersucht zu tun, fordert die Hineinschauenden mit einem lauten „toka!“ zum Weggehen auf und versucht, die Holzlade vor das Fenster zu schieben, die allerdings immer wieder von selbst aufgehen will. Alle Fenster schließen darf man jedoch sowieso nicht, da sie in den meisten Klassenzimmern aus Holz sind und man daher drinnen vor Dunkelheit nichts mehr erkennen könnte.
Anfangs verstörten mich außerdem die Getreidesäcke, Hacken und Zementsäcke, die hinten im Klassenzimmer aufgestapelt waren, doch das scheint in tansanischen Dorfschulen normal zu sein, da woanders kein Platz ist. Denn auch schon die Klassenzimmer reichen für die vielen Schüler nicht aus. Obwohl die Regierung offiziell versprochen hat, in öffentlichen Schulen nicht mehr als 45 Schülerinnen und Schüler in ein Klassenzimmer zu stecken, sieht die Realität anders aus: 60 bis 75 Schüler pro Klasse gehören zur Normalität, und das auch schon in der 1. Klasse, wo es doch besonders wichtig wäre, die Kinder hin und wieder auch einzeln zu fördern. Doch so kommen schwächere Schüler kaum zum Zug und gehen unter so vielen Schülern mit der Zeit unter, was sich auf ihre komplette folgende Schullaufbahn auswirken wird. Große Klassen sind eines der großen Probleme in der tansanischen Schulbildung, weshalb ich entschieden habe, dass sie wenigstens in meinem zusätzlichen Förderstunden wenn möglich in Kleingruppen unterrichtet werden sollen. Dennoch reicht das nicht als Lösung – mindestens ein zusätzliches Klassenzimmer sollte her. Der Bau wurde bereits begonnen, doch nach kurzer Zeit wieder gestoppt, da die Regierung ablehnt, zu zahlen, und das Geld der Eltern nicht reicht.
Neues Klassenzimmer hin oder her: der spielerische Unterricht in Kleingruppen klappt gut, macht auch mir selbst wahnsinnig viel Spaß, und es ist eine Freude zu sehen, mit wie viel Motivation und Begeisterung die meisten Kinder dabei sind. Da ich es nur einmal pro Woche schaffe, kann ich natürlich nicht viel bewirken, doch mein Hauptziel ist es nicht, ihnen fließend Englisch beizubringen, sondern in ihnen die Begeisterung für die englische Sprache zu entfachen, so dass die Schüler selbst die Motivation bekommen, sich in der Schule anzustrengen. Bei einigen Schülern ist das schon längst passiert – so geht unser Unterricht in der letzten Gruppe manchmal so lange, bis die Kreide restlos alle ist. Anschließend laufe ich gemeinsam mit den Kindern aus dem Amani Kinderdorf nach Hause, was auch immer wieder zu einem Erlebnis wird: Pflanzenranken werden zu Springseilen umfunktioniert, mal wird eine den Weg kreuzende Schlange getötet, um die Gefahr für die nächsten Passanten zu bannen. Oder die Kinder verschwinden im Gebüsch, tauchen kurze Zeit später mit ein paar besonderen Blättern auf und erklären mir, dass sie deren Pflanzensaft dazu benutzen, ihre Schulhefte zu kleben. So wird der Donnerstagnachmittag auch für mich immer wieder zu einem Erlebnis.
Christina Hölbling