Ein Tag im Kinderdorf
Jeden Morgen, wenn man die Aussicht von unserer Bank vor dem Haus genießt, ist es immer wieder eine Überraschung, wie der Tag verläuft. Doch eines bleibt immer gleich: Die wundervolle Landschaft strahlt Ruhe und Frieden aus, und dies lässt einen immer wieder gelassen und beruhigt in den Tag starten.
In Tansania herrscht eine etwas andere Zeitrechnung als in Europa, was für den einen oder anderen verwirrend sein kann. Wenn hier in Ostafrika um 6 Uhr die Sonne aufgeht, beginnt die erste Stunde des Tages. Und pünktlich zum Tagesanbruch herrscht in unserem kleinen Dorf schon reges Treiben.
Schon um 5 Uhr morgens beginnt die Arbeit für unsere Hausmütter, und es ist Zeit für unsere Kinder aufzustehen. Zunächst wird fleißig draußen gekehrt, Uji gekocht, oder die Kinder bereiten sich für die Schule vor. Und dass es schon einmal sehr chaotisch zugehen kann, wenn all diese Kinder wach werden, frühstücken und sich in den Bädern fertig machen, kann man sich vorstellen. Es wird gelacht, sich um einen Platz am Waschbecken gestritten und versucht, seine Schuluniform ordentlich anzuziehen.
Unsere größeren Kinder, die die Secondary School besuchen, leben außerhalb der Ferien nicht im Dorf. Für die Kinder aus der Kilolo School geht der Tag aber auch sehr früh los. Dreimal die Woche gibt es Morgensport, wo die Jungen manchmal sogar bis nach Kilolo laufen und den ganzen Weg wieder zurück. Dies soll der allgemeinen Fitness der Kinder dienen. Auch für die Mädchen gibt es einmal in der Woche eine Laufeinheit. Ansonsten ist es wichtig, dass sie früh ihre Betten in Ordnung bringen oder sich waschen. Um 7.20 Uhr läutet dann die Glocke für die morgendliche Versammlung aller Schüler auf dem Appellplatz.
Für die Grundschüler beginnt der Tag mit einem langen Fußmarsch bis nach Kilolo, wo sich die Kilolo Primary School befindet. Die Grundschule hat Lehrer- und Platzmangel, weshalb es dort nicht möglich ist, alle Kinder gleichzeitig zu unterrichten. Somit haben die Hälfte der Klassen 1 und 2 ab 8 Uhr Schule, und die andere Hälfte geht von 10 Uhr bis zur letzten Stunde in den Unterricht.
Übrig bleiben hier die Hausmütter mit ihren Helferinnen, die Kindergartenkinder und Arbeiterinnen der dorfeigenen Näherei und unseres Gartens. Außerdem kann man ab 8 Uhr die Maschinen der Schreinerei, die 250 Meter von den Kinderhäusern entfernt liegt, hören. Auch das Radio von Mama Erica tönt aus den Türen des Staff Houses, in dem sie sich für den Tag fertigmacht und erste Gespräche mit den verschiedensten Leuten stattfinden. Für die Hausmütter beginnt jetzt die Zeit um zu frühstücken und Tee zu trinken. Dabei wird der neuste Tratsch und Klatsch des letzten Tages diskutiert und überlegt, was am Tag alles erledigt werden muss.
Daraufhin wird den Kindergartenkindern beim Start in den Tag geholfen, denn die Kindergartenleiterin beginnt um 9 Uhr mit ihrem Programm. Lesen- und Schreiben-Lernen, erste kleine Rechenaufgaben, in Bilderbüchern blättern, aber natürlich auch eine Menge Spiele spielen und Lieder singen stehen für die Kleinen auf dem Plan. Dieses Programm geht für die Kinder bis 12 Uhr, womit dann unsere Kindergartenleiterin in der Näherei aushilft oder mit den Müttern zusammensitzt.
Um 8 Uhr schließt unsere Chefin Gabriella die Näherei auf, und auch hier beginnt die Arbeit. Schuluniformen für die Kinder werden nicht gekauft, sondern die Näherei stellt sie selbst her. Auch kaputte Hosen und Pullover der Kinder können direkt vor Ort repariert werden. Die Näherei bietet Arbeits- und Ausbildungsplätze für einige der älteren Kinder, die die Schule beendet haben und sich entschieden haben, Näherin zu werden. Somit ist unsere Näherei momentan auch gut besetzt, und auch für die etwas kompliziertere Strickmaschine haben wir wieder eine neue Helferin gefunden.
Wie auch in der Näherei sind auch in der Schreinerei die Maschinen schon warmgelaufen. Lange Zeit haben die vier tansanischen Schreiner und die beiden deutschen Freiwilligen hauptsächlich die Inneneinrichtung für das sich im Bau befindende Kinderdorf Kitwiru gefertigt. Mittlerweile kommen auch Aufträge von Tansaniern regelmäßig herein, so dass Bosco, der Chef der Schreinerei, und die anderen Arbeiter einiges zu tun haben. Es werden Fenster, Türen, Rahmen oder andere Möbelstücke gefertigt. Auch für die beiden Schulen in Kilolo und Kitwiru wurden schon einige Aufträge fertiggestellt.
Gegen Mittag ist es für die Mütter an der Zeit, Essen zu kochen. Das tansanische Gericht Ugali (Maisbrei) wird zusammen mit Bohnen und spinatähnlichem Gemüse (unter den Freiwilligen auch als „Hecke“ bekannt) serviert. Die Kinder essen, wie es hier üblich ist, mit den Händen. Dabei wird aus dem Ugali ein Ball in der Hand geformt. Anschließend drückt man mit dem Daumen eine Kuhle in den Ball und hat nun man eine Art Löffel aus Ugali, mit dem man die Bohnen und die „Hecke“ aufheben kann.
Am frühen Nachmittag trudeln nach und nach unsere Kinder wieder ein. Unsere Siebtklässler sind meist die letzten und kehren erst nach 17 Uhr zurück. Der Großteil der Kinder muss in der Schule, nach dem regulären Unterricht, noch andere Aufgaben erledigen, zum Beispiel die Pflanzen gießen, den Schulhof auf Vordermann bringen oder die Klassenräume fegen. Aufgrund dieser Pflichten und des langen Schulwegs kehren viele Kinder erst am späten Nachmittag zurück.
Sobald die Kinder zuhause angekommen sind, dürfen sie entweder spielen, oder sie müssen ebenfalls im Haushalt mit anpacken. Viele Spiele der Kinder sind selbst erfunden und voller Kreativität, und es ist beeindruckend, dass selbst die kleineren Kinder der ersten Klasse gegen die größeren Kinder antreten. Besonders gerne spielen sie ein Wurfspiel („Ledhe“), in das alle einbezogen werden können und bei dem die sportlichen Fähigkeiten gefragt sind. Auch die Spielgeräte, die seit etwa vier Jahren im Kinderdorf stehen, werden täglich benutzt. Morini und Kristina haben ihren Platz an der Rutsche gefunden, Sara und Regneti schaukeln immer so hoch wie sie können, und auch das Karussell ist ein beliebter Ort, an dem die Kinder sich gerne versammeln, zusammen singen oder sich einfach nur unterhalten.
Einige Kinder findet man währenddessen in den Kinderhäusern. Sie helfen den Müttern beim Kochen, legen Feuerholz nach, schneiden Gemüse oder setzen das Wasser auf, um Ugali zu kochen. Dabei tauschen die Mütter und Kinder die neusten Geschehnisse des Tages aus, erzählen sich Geschichten oder singen Lieder. Besonders Mama Diana legt großen Wert darauf, dass ihre jüngeren Mädchen und Jungen das Kochen früh lernen und wissen, wie der Ugali angemischt wird.
Zum Alltag gehört auch die Nachhilfe, die sich inzwischen mehr etabliert hat. Somit haben die Kinder der dritten bis siebten Klasse einmal die Woche Englisch- oder Mathenachhilfe mit der Freiwilligen, die gerade im Kinderdorf lebt. Dies ist Mama Erica vor allem sehr wichtig, da viele Kinder dadurch die Möglichkeit bekommen, nachträglich Fragen zu stellen und bestimmte Themen zu wiederholen. Die Nachhilfe läuft von Dienstag bis Donnerstag und findet am Abend gegen 18 Uhr für eine Stunde in unserem Klassenraum statt.
Danach folgt das Abendessen, auf welches sie immer sehnsüchtig warten. Denn in der Schule bekommen sie nur einmal Uji, womit sie sich am Abend umso mehr auf eine warme Mahlzeit freuen. In dieser Zeit, so gegen 19.00 Uhr, wird es in Kilolo dann auch dunkel. Die einzigen Lichtquellen sind nur noch in den Häusern. Alle sitzen noch bis zur Schlafenszeit beisammen und wärmen sich am Feuer auf, schauen Schulaufgaben an oder hören Gospelmusik. In dieser Zeit wird es sehr gemütlich, und dies ist auch die einzige Zeit am Tag, zu der alle zusammen sind und sich austauschen können.
Nun gehen die Gruppen gegen 21 Uhr langsam auseinander: Die Kleinen gehen in die Betten, der Essenstisch wird noch in Ordnung gebracht und die Mütter haben ein Auge darauf, dass in den Schlafräumen Ruhe einkehrt. Gegen 22 Uhr ist es ruhig im Kinderdorf. Die Lichter im Dorf gehen aus, der Nachtwächter beginnt seine Runden zu drehen und hat ein Auge darauf, dass niemand ins Dorf hinein oder hinaus geht.
Somit geht ein Tag zu Ende, und das Einzige, was die ganze Nacht lang nicht still wird, sind die Grillen, die bis zum nächsten Sonnenaufgang nicht aufhören werden zu zirpen.
Francine Walter