09. Oktober 2013 | Vereinsarbeit
Hoffnung ist der Motor von allem
Eindrücke von einer Reise zu den Projekten des Amani Kinderdorf e.V. in Tansania
In den Sommerferien reiste eine Gruppe von 16 Freunden und Förderern des Amani Kinderdorf e.V. unter Leitung des stellvertretenden Vorsitzenden Ulrich Siepe in den Süden Tansanias in die Provinz Iringa, um sich einmal selbst ein Bild von dem Land, den Menschen, den Vereinsaktivitäten und natürlich dem Leben in den beiden Kinderdörfern in Kilolo und Kitwiru zu machen. Aber auch das Urlaubsbedürfnis der Beteiligten kam bei einer Foto-Safari im Ruaha-Nationalpark und bei Schnorcheln und Sightseeing auf Sansibar zu seinem Recht.
Wir sitzen in einem grell türkisfarbenen Toyota Kleinbus und fahren durch Daressalam. Übermüdet sind wir am frühen Nachmittag am Flughafen angekommen, jetzt wollen wir noch schnell zur Bank, um tansanische Shillingi einzutauschen, und danach zu unserem Strandhotel etwas außerhalb, um endlich zu duschen, zu essen und zu schlafen – der strapaziöseste Teil der Reise ist geschafft – denken wir. Was wir dann aber zu sehen, zu hören und zu riechen bekommen, ist beeindruckend und verstörend. Der Weg zur Bank dauert fast zwei Stunden. In Daressalam ist Stau, und ein Stau hier ist laut! Überall wird gehupt, bei jeder Kreuzung wimmeln Straßenhändler um uns herum, die lautstark ihre Bananen, frischen Nüsse, Mineralwasserflaschen und allerlei Krimskrams anpreisen. Wir sehen, es sind überwiegend junge Männer, die auf diese Weise ihr Geld verdienen. Unser tansanischer Reiseführer Sunday erklärt uns: Bezahlte Arbeit gibt es kaum, staatliche soziale Absicherung gar nicht, wer nichts verdient, ist auf die Unterstützung von Familie und Freunden angewiesen. Wer als Straßenhändler arbeitet, zeigt wenigstens, dass er sich bemüht und niemandem auf der Tasche liegen will. Das klingt einleuchtend – erschreckend nur, wie viele es sind.
Endlich bei der Bank angekommen, erhalten wir eine erste Lektion in tansanischer Zeitmessung. Das simple Geldwechseln gestaltet sich überraschend kompliziert und langwierig, aber jedermann ist freundlich und bemüht, selbst die Kassenöffnungszeiten nimmt man nicht so genau, eine halbe Stunde nach Schließung der Bank sind wir alle versorgt und wollen weiter – zur Fähre, die uns auf eine Halbinsel im Indischen Ozean übersetzen soll, wo man im Hotel hoffentlich noch auf uns wartet.
Die Fahrt führt uns, natürlich immer noch im Stau, am Fischmarkt vorbei. Unbeschreiblich ist der Geruch; der angebotene Fisch ist sicherlich frisch, aber er wird natürlich nicht gekühlt, und wir haben zwar Winter, aber fast 30 Grad. Die Abfälle liegen auf dem Boden. Dazu kommen die allgegenwärtigen Holzkohlefeuer, auf denen Snacks zubereitet werden, und die vielen Feuer, die zur Entsorgung von Müll dienen … Ein Bettler kommt dicht an die Busfenster heran und streckt uns seine Hände entgegen, erschrockene Reaktionen der Mitreisenden: Gibt es wirklich noch Lepra in Tansania?
Andererseits sehen wir viel Schönes: Frauen in bunten Gewändern tragen auf dem Kopf frische Früchte in kunstvoll geflochtenen Körben. Kleine Gruppen von Kindern flitzen unbeschwert durch das Gedränge. Alle gehen in ruhiger Gelassenheit ihren Beschäftigungen nach, niemand hetzt und Zeit für ein Schwätzchen ist immer. Wir sehen ein üppiges Angebot an Obst und Gemüse, dazu das Abendlicht am Indischen Ozean, das Gedränge auf der vorsintflutlichen Fähre (Was würde der deutsche TÜV dazu sagen?) – Afrika wie im Film.
In den nächsten Tagen bestätigen und erweitern sich die ersten Eindrücke. Es gibt ein großes und vielseitiges Angebot an Lebensmitteln. Tansania ist nach wie vor ein Agrarland mit überwiegender Subsistenzwirtschaft. Wer auf den eigenen Feldern einen Überschuss erwirtschaftet, setzt sich damit irgendwo am Straßenrand unter einen Baum und verkauft ihn an vorbeikommende Auto- oder Motorradfahrer. Vorratshaltung gibt es fast gar nicht. In Iringa sehen wir ein einziges kleines Geschäft, in dem zu horrenden Preisen Tiefkühlfleisch als besondere Delikatesse angeboten wird. Im Normalfall wird täglich frisch gekocht. Das kommt der Qualität zu Gute, wir essen gut und reichlich. Aber was wir sehen und schmecken, wirft auch Fragen auf: Wird nicht die Arbeitskraft der Menschen gesamtwirtschaftlich betrachtet uneffektiv verschwendet? Die Frauen in unserer Reisegruppe beginnen zu schätzen, wie lang eine tansanische Hausfrau für die Zubereitung der Mahlzeiten für die zumeist großen Familien braucht. Mindestens einen halben Tag. Zu bedenken ist dabei auch, dass das Wasser in Kanistern herangeschleppt werden muss und dass auf Holzöfen gekocht wird. Das Transportieren von Holz und Wasser scheint eine der Hauptbeschäftigungen der Frauen und älteren Kinder zu sein. Wir verstehen gut, was uns später die Leiterin der Secondary-School in Kilolo berichtet: Besonders die Mädchen gehen oft unregelmäßig und nur wenige Jahre zur Schule, weil ihre Arbeitskraft zuhause gebraucht wird.
Was arbeiten die Menschen? Wir sehen einen jungen Mann, der ein mit einem 20-Liter-Kanister Motoröl beladenes Fahrrad von Iringa-Stadt den Berg hinauf zu seinem Dorf schiebt. Sunday erklärt uns, dass er das Öl in leere Wasserflaschen portionieren und am Straßenrand an Lastwagenfahrer verkaufen wird. Das sei ein ganz normales Gewerbe. Der junge Mann ist also selbstständiger Unternehmer! Wir fragen uns, wie viel Gewinn ihm der stundenlange Gewaltmarsch wohl einbringt. Eine andere Arbeit ist das Sammeln von Plastikmüll – nicht im Auftrag einer irgendwie gearteten städtischen Müllabfuhr, sondern auf eigene Rechnung. Wir sehen in einem Vorort von Daressalam mehrere halbwüchsige Jungen, die riesige Säcke mit alten Wasserflaschen auf dem Kopf irgendwo hin tragen, und erfahren, dass es neuerdings ein Recyclingunternehmen gibt, das ihnen das Gesammelte nach Gewicht bezahlt. Müllsammler sein ist ein geachteter Job, mit dem sich auch die junge Fremdenführerin in der Isimila Stone Age Site ihr Studium verdient. Sie sieht ihre Zukunft im Tourismus, lernt fleißig Englisch und absolviert in der steinzeitlichen Fundstätte ein unbezahltes Praktikum, um Erfahrung im Umgang mit Touristen zu sammeln. Unser Eindruck: Der größte Teil der Menschen ist tatsächlich den ganzen Tag mit etwas beschäftigt, das uns auf den ersten Blick als umständlich, ineffektiv und sinnlos erscheint, das sich aber auf den zweiten Blick im Kontext der realen Lebensumstände als notwendig erweist oder sogar als eine kreative Idee. Da ist zum Beispiel die bunt und fröhlich gekleidete, etwa dreißigjährige Frau, die ihre spezielle Marktlücke entdeckt hat. Sie bietet den Touristen, die auf dem Weg von Iringa-Stadt zum Ruaha-Nationalpark vorbeikommen, Toiletten an. Sie führt uns durch eine verwinkelte Gasse zu einem Verschlag voller Spinnweben und mit löcherigem Dach, der vielleicht einmal ein Ziegenstall gewesen sein mag, wo aber tatsächlich drei „Toilettenkabinen“, immerhin mit verriegelbaren Brettertüren, auf uns warten. Wieder muss man ein zweites Mal hinschauen, um das Angebot zu würdigen. Dann sieht man, dass der Weg zu dieser Einrichtung sauber gefegt ist, man sieht das dort abgestellte, uralte Fahrrad, das aber eine frisch geölte Kette und prall aufgepumpte Reifen hat. Man sieht die improvisierte Wasserspülung, die aus einem sauberen Eimer voll frischen Wassers und einem Litermaß zum Spülen besteht. Am Überraschendsten ist aber, dass die Frau für uns auch eine Möglichkeit zu Händewaschen bereithält. Freundlich und resolut streut sie uns etwas Waschpulver in die Hände und übergießt sie dann mit Wasser aus einer Kanne. Was für eine Geschäftsfrau hätte in Deutschland aus ihr werden können!
Natürlich gibt es auch eine kleine Oberschicht, die in relativem Wohlstand zu leben scheint. Wir treffen den engagierten Bauamtsleiter, der die Bauarbeiten im Amani Kinderdorf Kitwiru beaufsichtigt, und den Bauunternehmer, der auf Anschlussprojekte nach Fertigstellung der letzten beiden Kinderhäuser hofft. Wir besuchen die Stadtdirektorin von Iringa, die verspricht, dass der versprochene Anschluss der dortigen Secondary School, an der auch zwei Amani-Freiwillige arbeiten, an das örtliche Stromnetz auch nun endlich erfolgen soll, und die von einem eigenen Flughafen für ihre Stadt träumt. Auf einer abendlichen Wanderung durchqueren wir das noble Wohnviertel von Iringa: für deutsche Verhältnisse sehr große Grundstücke, schöne, geräumige, neue oder im Bau befindliche Häuser, befremdlich aber die hohen Mauern und Zäune, z.T. mit Hunden, Stacheldraht und Videokameras zusätzlich gesichert, und für uns eher beängstigend die allgegenwärtigen Patrouillen privater Wachdienste. Schwierig zu beantworten ist für uns die Frage, ob wir lieber hier oder doch wie die Mehrheit der Tansanier auf dem Land in den einfachen Ziegelhütten mit Wellblechdach ohne Wasser und Strom leben würden.
An einem Nachmittag haben wir die Gelegenheit, nicht nur einen der beiden Amani-Freiwilligen, die am Ruaha University College Computerkurse anbieten, sondern auch den Rektor dieser Universität – es ist eine von dreien in Iringa – zu sprechen. Man führt uns in einen Konferenzraum mit einem großen, massiven Holztisch für mindestens dreißig Personen. Am Kopf der Tafel wartet ein erhöht stehender, gepolsterter Armsessel, zu dem wir respektvoll Abstand halten. Von drei überdimensionalen Bildern lächeln der allgegenwärtige Staatspräsident Tansanias Jakaya Kikwete, Papst Franziskus und der Bischof von Iringa auf uns hinab. Das Ruaha University College ist in Trägerschaft der katholischen Kirche. Ein kleiner, schmaler Tansanier im Pullover betritt den Raum. Man bemerkt ihn zuerst gar nicht, er verschmäht den pompösen Sessel und setzt sich auf einen einfachen Stuhl in unsere Runde – trotzdem ist es der Rektor persönlich, Priester, etwa um die fünfzig. Er spricht mit überraschend leiser Stimme, aber man spürt, er ist es gewohnt, dass man ihm zuhört. Nach den üblichen Höflichkeiten (Dank für die Unterstützung durch den Verein, insbesondere für die Ausstattung der Uni mit Computern und die Einrichtung der zwei Freiwilligen-Stellen) spricht er von der Universität und ihren Aufgaben für die Entwicklung Tansanias. Stolz berichtet er über das Wachsen der Zahl der Studenten, inzwischen fast 6000 junge Menschen unterschiedlicher Religions- und Stammeszugehörigkeiten, und über die Bachelor- und Masterabschlüsse, die hier neben Theologie und Geisteswissenschaften auch in den Bereichen Justiz und Verwaltung, Gesundheitswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre erworben werden können. Engagiert und sachlich zugleich vermittelt er uns ein Bild von den Chancen und Schwierigkeiten seines Landes.
Zu den Chancen zählt er vor allem, dass Bildung einen sehr hohen Stellenwert in der Gesellschaft hat und die Studenten leistungsbereit und zielstrebig arbeiten, dass es eine große Bereitschaft und Fähigkeit zu Kooperation und Teamarbeit gibt und dass in Tansania, anders als in anderen afrikanischen Staaten, das gesellschaftliche Klima im Großen und Ganzen noch von religiöser Toleranz zwischen Christen aller Konfessionen und dem Islam beherrscht wird. Auch ethnische Zugehörigkeiten spielen keine wesentliche Rolle, es gebe ein übergeordnetes tansanisches Nationalbewusstsein. Wir als Deutsche zucken bei diesem Wort leicht zusammen, verstehen nun aber, warum Kikwetes Portrait hier über den Konferenztisch gehört wie das des Papstes.
Die Schwierigkeiten aufzulisten nimmt mehr Zeit in Anspruch. Der Rektor spricht davon, dass Aids die mittlere, leistungsfähige Generation dezimiert, so dass viele Familien die soziale Versorgung ihrer Mitglieder nicht mehr stemmen können. Aus diesem Grund wurde ja auch der Amani Verein gegründet. Er spricht von der Korruption, die überall in staatlichen Behörden einschließlich der Polizei grassiere und trotz öffentlicher Kampagnen unausrottbar zu sein scheine. Er spricht aber auch von den großen afrikanischen Konkurrenten Südafrika und Kenia. Wer in Tansania nach qualitativ hochwertigen Produkten suche, sei auf den Import aus Südafrika angewiesen. Und in Kenia sprächen die Menschen wesentlich besser Englisch als in Tansania – ein ungeheurer Wettbewerbsnachteil im internationalen Vergleich. Damit ist er wieder bei dem Punkt angelangt, der ihm der Schlüssel zur Lösung der meisten Probleme zu sein scheint: Bildung, Bildung und nochmals Bildung.
Auf unsere abschließende Frage, wie er die Zukunft Tansanias in zehn Jahren sieht, reagiert er mit einem besorgten Gesicht. Zunächst antwortet er ausweichend: Zehn Jahre seien ein zu kurzer Zeitraum, als dass sich schon Wesentliches verbessert haben könnte. (An mögliche Verschlechterungen will er anscheinend gar nicht denken.) Aber dann lächelt er und formuliert statt der erwarteten Prognose seinen ganz persönlichen Appell an uns und damit den Amani Verein und vielleicht auch an sich selbst: Wichtig sei vor allem, im Engagement nicht nachzulassen, beharrlich in kleinen und großen Dingen weiter zu arbeiten und sich für eine bessere Zukunft einzusetzen. Wir fragen uns, woher er dazu die Motivation bezieht, da antwortet er schon mit dem Satz, der unsere Sicht auf Tansania nachhaltig prägt:
„Hoffnung ist der Motor von allem!“
Dass Hoffnung das alltägliche Leben bestimmt, erfahren wir vor allem in den beiden Kinderdörfern Kilolo und Kitwiru. Zunächst besuchen wir die Secondary School, in der einige der älteren Kinder aus Kilolo von Montag bis Freitag im Internat leben, da der Weg vom Kinderdorf zur Schule sehr weit ist. Für die Schulleiterin Mama Seraphina und ihr Kollegium scheint unser Besuch ein besonderes Ereignis zu sein; wir werden üppig bewirtet, und dann zeigt man uns die Neuerungen im Schulleben. Endlich Schluss mit dem rein theoretischen Chemieunterricht! Endlich gibt es Experimentiermaterial genug für eine ganze Schulklasse – immerhin an die sechzig Schülerinnen und Schüler. Überhaupt erscheint Mama Seraphina die Verbesserung der Ausbildung in Science, also den Naturwissenschaften, ein vorrangiges Ziel.
Im „Computerraum“ stehen seit vielen Jahren mittlerweile weitgehend unbrauchbare Rechner, eine Spende von einem Sponsor, der sich über die realen Bedingungen der Schule wohl nicht richtig informiert hatte: denn erst im letzten Schuljahr ist die Schule ans öffentliche Stromnetz angeschlossen worden, so dass jetzt erst Computer sinnvoll sind. Die vorhandenen Geräte sind aber mittlerweile völlig veraltet und darüber hinaus durch die Lagerung bei den dort herrschenden klimatischen Bedingungen auch nicht funktionsfähiger geworden. Dankend nimmt sie entgegen, dass Amani im kommenden Container Rechner nach Tansania schickt, von denen einige in Kilolo eingesetzt werden. Aber ansonsten kümmert sie sich um ihr wichtigstes Projekt: Ein Wohnhaus für die Lehrer und ihre Familien muss fertig gestellt werden. Als wir verständnislos nachfragen, warum das so wichtig sei, vielleicht sogar wichtiger als Computerkurse für die Schüler, macht sie deutlich, dass tansanische Lehrer nicht in der tiefsten Provinz, sondern lieber in der Stadt arbeiten wollen, wo das Leben angenehmer ist und mehr Komfort bietet. Ihre Schule liegt aber weit ab vom Schuss im ländlichen Bereich und leidet unter massivem Lehrermangel. Mit attraktiven und günstigen Wohnmöglichkeiten hofft sie, junge Lehrer anlocken zu können, was dann ja wieder den Schülern zu Gute kommt.
Unser späterer Besuch in der Secondary School von Kitwiru, die in einem Außenbezirk von Iringa und nur einen Steinwurf von dem dortigen Kinderdorf entfernt liegt, bestätigt uns den Unterschied von Stadt und Land. Der Schulleiter hätte zwar auch gerne mehr Lehrer in Science, ist aber insgesamt mit der Besetzung des Kollegiums zufrieden. Der Computerraum seiner Schule steht für die ersten Kurse bereit, nur leider fehlt immer noch der dazu nötige Stromanschluss! Da dieser aber für die nächsten Wochen (tansanische Zeit?) von der Stadt fest zugesagt ist, sieht er der Zukunft hoffnungsvoll entgegen.
Mama Erica, die Leiterin der beiden Kinderdörfer, empfängt uns in Kilolo mit einem fürstlichen Mittagessen, zubereitet von den Hausmüttern und ihren Helferinnen. Es sind zunächst nur die Kindergartenkinder anwesend, die Schulkinder trudeln im Laufe des Nachmittags allmählich ein. Sie tauschen die Schuluniformen gegen Freizeitkleidung, die Kleinen spielen, die Großen helfen bei der Haus- und Gartenarbeit. Es herrscht eine lockere und ruhige Atmosphäre. Die Kinder sind in sechs familienähnlichen Gruppen mit je einer Hausmutter und deren Helferin in freundlichen Backsteinhäusern untergebracht, es gibt viel Platz, viel Grün, einen kleinen Spielplatz für die Jüngsten, das Dorf erscheint tatsächlich als ein Ort des Friedens. Wie viel Arbeit und Fürsorge hier geleistet werden, kann man als außenstehender Besucher nur erahnen: Alle Kinder haben in ihrer Vergangenheit zumindest Vernachlässigung erlebt, einige sicher auch Schlimmeres. Wie viele von ihnen mögen traumatisiert sein? Therapiemöglichkeiten gibt es nicht. Sind unter ihnen einige HIV-positiv? Immerhin hat jedes Kind eine eigene Zahnbürste und ein eigenes Bett – keine Selbstverständlichkeit in Tansania. Uns wird erklärt, dass es für die Kinder, die im Kinderdorf aufgenommen werden, eine große Entlastung bedeutet, regelmäßiges Essen, Kleidung, eine klare Tagesstruktur und die Möglichkeit zum Schulbesuch zu bekommen. Sie sind fürs Erste entlastet von der Ungewissheit, was der nächste Tag bringt. Dass sie Lebensfreude haben, erleben wir am Abend, als sie für uns als ihre Gäste im Gemeinschaftshaus eine kleine Vorführung geben, die sie mit ihren Hausmüttern einstudiert haben. Sie singen und tanzen mit so viel Temperament und Gefühl für Rhythmus, aber auch Disziplin und Konzentration, dass wir uns in diesem Moment um ihre seelische und körperliche Gesundheit keine Sorgen mehr machen. Sie wirken einfach wie glückliche Kinder, die stolz auf das sind, was sie uns zeigen können.
Eine weniger ruhige Atmosphäre hat das Kinderdorf in Kitwiru. Dies ist schon allein dadurch bedingt, dass es zum Teil noch eine Baustelle ist und dass hier wesentlich mehr jüngere Kinder im Kindergartenalter leben, die sich unter Leitung der vitalen, extravertierten und spontan wirkenden Leiterin Mama Lucy sehr wohl zu fühlen scheinen. Hier wird vor allem über den Fortschritt der Bauarbeiten diskutiert. Ein gigantisches Grabensystem ist zum Schutz der an einem Hang liegenden Häuser bei Erdrutschen in der Regenzeit angelegt worden. Zwei Kinderhäuser sind noch im Bau. Der vom Amani Verein beauftragte Bauunternehmer und der als Bauaufsicht fungierende Bauamtsleiter lassen es sich nicht nehmen, uns höchstpersönlich die Fortschritte zu zeigen und über die weiteren Pläne zu unterrichten. Gigantisch erscheint uns die 60.000 Liter Regewasser fassende Zisterne zur Bewässerung des Gemüsegartens, auf deren Betondeckel der obligatorische Händedruck für die Fotografen zelebriert wird. Der Bauamtsleiter erzählt uns, dass rund um das Kinderdorf in den nächsten Jahrzehnten ein neues, mittelständisches Wohngebiet entstehen soll. Gerade in Kitwiru, wo alles noch so unfertig aussieht, spüren wir ganz stark die Zukunftshoffnung, von der der Rektor des Ruaha University College gesprochen hat.
Monika Hellebrandt