09. Januar 2014 | Kitwiru
Als käme ich nach Hause
Nach sechs Jahren bin ich wieder im Kinderdorf Kilolo und fühle mich, als käme ich nach Hause. Das Dorf hat sich nicht viel verändert, die Bäume sind mächtig gewachsen, ein neues Tor mit großem Schild, eine neue Garage, und es gibt noch vertraute Gesichter. Was auffällt, sind neben vielen neuen Kindern die „Großen“, die Kinder von damals sind 6 Jahre älter geworden. Aus dem kleinen ewig erkälteten Clement mit Windeln wurde ein fröhliches, selbstbewusstes Kind, aus Grace ein junges Mädchen, das toll trommeln kann, Matrida arbeitet in der Näherei, Dickson wird auf die High School gehen.
Mama Erica, nach wie vor unsere Dorfleiterin, weiß wie immer bestens Bescheid über jedes Kind. Wir sprechen über alle und tragen ein, was wichtig ist und weiter beobachtet werden muss. Oft steht da, „hat sich gut eingelebt“, „viele Freunde“, „spielt gern, guter Fußballer“, „Durchschnitt“, „sehr gut“ oder auch „exzellent in der Schule“. Es gibt kaum gesundheitliche Probleme, meistens Husten und Schnupfen im Winter. Das Klima hier ist sehr angenehm, hier ist kein Malaria-Gebiet; und viel Bewegung und frische Luft tun das Übrige.
Herrlich zu erleben, wenn die Primary Schüler morgens um 6:30 Uhr in einem großen Pulk fröhlich lärmend zum Tor hinaus rennen. Auf der Straße geht es dann gemütlicher zu. Hier und da wird ein kurzer Abstecher gemacht, es wird viel erzählt und gelacht, und nach zwei Stunden haben alle die vier Kilometer geschafft. Zur Secondary School im Dorf Kilolo sind es acht Kilometer, und auch die werden von vielen zu Fuß bewältigt.
Mama Erica begleitet die schulische Entwicklung aller Kinder sehr genau. Leider sind die öffentlichen tansanischen Schulen oft sehr schlecht, und so schicken wir viele Kinder auf Privatschulen, was natürlich Geld kostet. Nur die sehr intelligenten Schüler schaffen die staatlichen Abschlussprüfungen an den öffentlichen Schulen; die schwächeren Schüler haben da gar keine Chance. Und die guten schaffen die Prüfung und lernen dennoch zu wenig. Aktuelles Beispiel: Dickson, ein herausragender Schüler, hatte vom Bischof ein Stipendium für eine sehr gute und teure Schule bekommen. Er war sehr schockiert, sich plötzlich im unteren Drittel der Klasse wiederzufinden. Aber er hat sich durchgebissen und nun einen guten Abschluss gemacht.
Aber es gibt im öffentlichen Schulsystem auch Lichtblicke, gebildete, engagierte Lehrer und Lehrerinnen und ein paar wirklich an Verbesserungen interessierte Verwaltungsbeamte – die allerdings in der Regel schnell wieder versetzt werden. Mit ihnen halten wir Kontakt und versuchen, hier und da mit Mitteln aus dem Bildungsfonds zu helfen. Aber auch nur mit ihnen und nur Hand in Hand. Sonst ist es hinausgeworfenes Geld.
Ich sitze in Kilolo an einem Vormittag im Schatten; die meisten Kinder sind in der Schule. Nur die Kleinen hört man ab und zu, dazu den Wind, einen Hahn; es herrscht eine herrliche Ruhe. Der Ausblick ist wunderschön, eine weite, hügelige Landschaft. Ab und zu hupt ein Bus – das heißt: schnell zur Straße rennen und einsteigen! Fahrpläne gibt es nicht, der Bus fährt, wenn er voll ist. Da viele auf den Bus angewiesen sind, dauert das in der Regel nicht sehr lange.
Aber es gibt selbst hier auf dem Land mehr Autos. Und vor allem Motorräder! Taxis gibt es in Kilolo noch nicht, aber man kann ein Motorrad bestellen, ein Pikipiki, hinten aufsteigen und los geht’s!
Das Dorf hat sich sehr verändert, die Straße von Iringa bis hier wird immer besser, teilweise ist sie schon geteert. Es werden viele neue Häuser gebaut; wir sehen ein Hostel und kleine Läden. Vieles ist immer noch sehr primitiv und abenteuerlich, aber hier und da auch schon ganz ansehnlich.
Die jungen Leute – ältere sieht man nur wenige – kleiden sich immer moderner, teilweise sehr schick. Frauen tragen nach wie vor ganz selten Hosen, aber gern maßgeschneiderte Kostüme oder Röcke und Blusen. Auch im Kinderdorf wird die Kleidung der Angestellten moderner und die Kinder sind weniger abenteuerlich angezogen. Alles passt einigermaßen und sieht zum Teil richtig nett aus. Alle Schuluniformen werden in unserer Näherei genäht bzw gestrickt.
In den Städten fällt die Entwicklung noch stärker auf. Immer mehr Autos fahren auf der Straße, es wird gebaut, das Angebot an Waren und Dienstleistungen nimmt zu; das Ganze natürlich auch mit allen negativen Begleiterscheinungen, aber unterm Strich ist es doch eine positive Entwicklung.
Wir hätten gerne, dass die Jugendlichen, ihre Erlebnisse, Erfahrungen, Wünsche, Träume aufschreiben. Aber es ist schwer, das zu erklären. Erziehung ist wie bei uns vor 40 oder 50 Jahren. Lernen ist Wissen wiedergeben, nicht denken lernen. Vielleicht würde es auf Kisuaheli gehen, aber so verstehen sie nicht, was wir meinen. Sie fragen sich, was wir hören wollen, wollen es uns recht machen.
Das neue Kinderdorf in Kitwiru ist ein Runddorf und so spielt sich das Leben in der Dorfmitte ab. Herrlich zuzuschauen! Die Kinder spielen fantasievoll und ausdauernd, müssen aber auch helfen. Die Hausmütter sind ein gutes Team, kein Stress trotz der vielen Arbeit. Yona, unser Fahrer, hilft, wo er kann, und spielt in seiner freien Zeit gerne Fußball mit den Jungen.
Und unsere Freiwilligen erlebe ich als eine Bereicherung, junge Menschen, die sich mit ihren Ideen und mit viel Idealismus in die Arbeit einbringen. Die Secondary Schools sind sehr daran interessiert, mit Hilfe der Freiwilligen Computerunterricht anbieten zu können, brauchen aber auch Hilfe beim Unterrichten von Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern.
Fazit: Viele schöne und bewegende Eindrücke, aber auch die Gewissheit, hier ist nach wie vor eine Menge zu tun. Ich fühle mich motiviert es anzupacken und hoffe, viele anstecken zu können mit meiner Begeisterung für dieses Projekt. Die Kinder brauchen unsere Hilfe!
Marlies Deutskens